Blutzucker überwachen ohne Diabetes – ist das sinnvoll?

Zwei Best Agerinnen gehen spazieren
© Christin Klose/dpa-tmn

Ernährungstrend

Gevelsberg/Bad Mergentheim (dpa/tmn) - Es klingt verlockend: weniger Heißhunger, besserer Schlaf, reinere Haut - und das alles dank stabiler Blutzuckerwerte. In sozialen Netzwerken gibt es immer mehr Nutzerinnen und Nutzer, die dafür werben, Blutzuckerspitzen zu vermeiden, um solche Effekte zu erreichen. 

Zum Teil messen sie ihre Werte - etwa mit Sensoren. Hat das wirklich einen Nutzen, auch wenn man nicht von Diabetes betroffen ist? Die wichtigsten Fragen und Antworten: 

Was hat es überhaupt mit dem Blutzuckerspiegel auf sich?

Wenn wir Zucker zu uns nehmen - in welcher Form auch immer - wird daraus im Körper Glukose. «Das ist unsere Währung im Energiestoffwechsel», sagt Brigitte Bäuerlein, Diplom-Ökotrophologin aus Gevelsberg. 

Der Glukose- bzw. Blutzuckerspiegel ist dabei ein Indikator dafür, wie viel Zucker im Blut unterwegs ist. Nach dem Essen ist der Spiegel meistens erhöht, weil der Zucker durch die Verdauung über den Dünndarm und die Leber ins Blut gelangt. Das ist prinzipiell nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Zucker versorgt uns mit Energie. «Er dockt an den Zellen an, in denen gerade Energie benötigt wird», sagt Brigitte Bäuerlein. 

Gut zu wissen: Nicht nur Mahlzeiten erhöhen den Blutzuckerspiegel kurzzeitig. «Die Glukosewerte steigen auch an, wenn Sie in Köln Stadtmitte einen Parkplatz suchen», sagt Brigitte Bäuerlein. Der Körper benötigt in dieser stressigen Situation zusätzliche Energie, die über Glukose zur Verfügung gestellt wird. 

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Blutzuckerspiegel zu messen: 

  1. Die klassische Messung mit Blutzuckermessgerät erfolgt, indem ein Tropfen Blut aus der Fingerkuppe entnommen und auf einen Teststreifen gegeben wird. Dieser Streifen wird dann vom Messgerät ausgewertet.
  2. Zudem gibt es den Langzeitblutzuckerwert als Labormessung. Er wird oft zur Diagnose von Diabetes verwendet.
  3. Eine weitere Möglichkeit sind CGM-Sensoren, die am Oberarm oder Bauch angebracht werden und den Blutzuckerspiegel in der Gewebeflüssigkeit kontinuierlich messen. 

Was ist eine Glukosespitze?

Steigt der Zucker im Blut schnell und stark an, ist von einer Glukosespitze die Rede. Dazu kann es kommen, wenn man kurzkettige Kohlenhydrate zu sich genommen hat - etwa durch Weißmehlprodukte, Süßigkeiten oder Fruchtsäfte. Solche Glukosespitzen können ein Auslöser für Heißhunger-Attacken sein. 

Haben nur Diabetiker etwas vom Überwachen der Blutzuckerwerte - oder können auch gesunde Menschen einen Nutzen daraus ziehen? 

«Für Menschen ohne Diabetes ist eine Messung eigentlich nicht notwendig», sagt Prof. Bernhard Kulzer, Leiter des Forschungsinstituts Diabetes in Bad Mergentheim. Ein gesunder Körper kann den Blutzuckerspiegel schließlich selbst regulieren. Steigt der Spiegel, schüttet die Bauchspeicheldrüse das Hormon Insulin aus. Geht er nach unten, wird das Hormon Glukagon ausgeschüttet. 

Eine Einschränkung macht Kulzer aber: Bei Leistungssportlern könne die Messung eventuell sinnvoll sein. Durch das Überwachen der Blutzuckerwerte können Ausdauersportlerinnen und -sportler Ermüdungserscheinungen infolge eines Glukosemangels vorbeugen. Dieser plötzliche Leistungsabfall ist als «Hungerast» bekannt - und er geht auf einen Abfall des Blutzuckerspiegels zurück. Wer den frühzeitig erkennt, kann rechtzeitig gegensteuern und Energie nachlegen. 

Auch wer schon Diabetes in der Familie hat und wissen will, wie er oder sie auf bestimmte Nahrungsmittel reagiert, könnte den Blutzucker messen, findet Brigitte Bäuerlein. «Es reicht, wenn man das ein paar Wochen lang macht.»

Wenn ich es nun aber wissen will: Welche Vor- und Nachteile hat eine Messung für gesunde Menschen?

«Man bekommt Biofeedback», sagt Bernhard Kulzer. Heißt: Man isst etwas und sieht direkt die Auswirkungen auf die Glukosewerte. Oder man bewegt sich und stellt fest, wie sehr das die Kurve wieder nach unten treibt. Das kann motivieren, wenn man zum Beispiel abnehmen will und dafür seine Gewohnheiten umstellt. 

Allerdings: «Die Werte sind an sich ein Diagnostikum, sie werden erst dann zum Leben erweckt, wenn man Schlüsse daraus zieht», sagt Bernhard Kulzer. Das heißt, man muss wissen, wie man die Daten interpretiert. «Ohne Einweisung und Schulung macht das wenig Sinn.» 

Der Experte empfiehlt allenfalls eine vorübergehende Nutzung. «Es ist sinnlos, ständig den Sensor zu tragen, zumal der nicht umsonst ist für gesunde Menschen», sagt Kulzer. Brigitte Bäuerlein warnt zudem davor, dass die ständige Beschäftigung mit dem Thema Essen zwanghaft werden könnte.

Ist ein stabiler Blutzuckerspiegel nun der Schlüssel zum Abnehmen - oder für andere gesundheitliche Benefits?

Pauschale Aussagen seien mit Vorsicht zu genießen, warnt Brigitte Bäuerlein. «Jeder Mensch reagiert anders auf Zucker in Nahrung, ob gesund oder mit Diabetes.» Wie man reagiere, hänge unter anderem von der Zellfitness, also dem Alter ab. Was auch eine Rolle spielt, sind Muskulatur und Bewegung.

Wer abnehmen will, sollte wissen: Entscheidend für eine Gewichtsreduktion ist die Menge der Kalorien, so Kulzer. Wer ein paar Kilogramm loswerden möchte, muss dem Körper also weniger Energie zuführen als er verbraucht. 

Worauf kann ich bei meiner Ernährung achten, wenn ich Heißhunger vermeiden und Zucker reduzieren will? 

Immer eine gute Wahl: eine ausgewogene Ernährung, die reichlich Gemüse und Obst enthält, viele Ballaststoffe, gute Öle, stets eine Proteinquelle und nicht zu viele leere Kohlenhydrate. So schafft man gute Voraussetzungen, um Blutzuckerspitzen zu vermeiden und Heißhunger-Attacken vorzubeugen.

Brigitte Bäuerlein rät außerdem dazu, möglichst keinen isolierten, aufgelösten Zucker wie in Softdrinks, Säften oder Smoothies zu sich zu nehmen. Ebenfalls wichtig: die eigenen Süßquellen im Alltag identifizieren und etwa dem Kaffee keinen Zucker zusetzen. So kann man seine Vorlieben auf Dauer umprogrammieren. 

Noch ein Tipp der Expertin: zuerst das Gemüse oder einen Vorspeisensalat essen. «Alles, was auf dieses Netz fällt, wird moderater im Blut ankommen, als wenn man Nudeln zuerst isst.»

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Zucker
Weißer Zucker geht rasch ins Blut - die darin enthaltene Energie steht dem Körper also schnell zur Verfügung. © Elisa Schu/dpa
Weißer Zucker geht rasch ins Blut - die darin enthaltene Energie steht dem Körper also schnell zur Verfügung.
© Elisa Schu/dpa
Eine Frau benutzt eine Stechhilfe für die Blutzuckermessung
Wie steht es um den Blutzucker? Der Piks in den Fingern gehört für viele Diabetiker zum Alltag, um Entgleisungen rasch zu erkennen und Insulin richtig dosieren zu können. © Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa-tmn
Wie steht es um den Blutzucker? Der Piks in den Fingern gehört für viele Diabetiker zum Alltag, um Entgleisungen rasch zu erkennen und Insulin richtig dosieren zu können.
© Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa-tmn
Avocado, Brokkoli, Blaubeeren und Walnüsse
Gesunde Fettsäuren, viel Gemüse, komplexe Kohlenhydrate: Eine ausgewogene Ernährung hilft dabei, Blutzuckerspitzen zu vermeiden. © Christin Klose/dpa-tmn
Gesunde Fettsäuren, viel Gemüse, komplexe Kohlenhydrate: Eine ausgewogene Ernährung hilft dabei, Blutzuckerspitzen zu vermeiden.
© Christin Klose/dpa-tmn

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