Spitzensportkrise in Deutschland: Was Experten dazu sagen

Im Spitzensport befindet sich Deutschland in vielen Sportarten nicht mehr in der Weltklasse. Gründe gibt es viele. Wir haben mit Experten über den aktuellen Zustand im deutschen Sport gesprochen.

Den Eindruck, dass der Spitzensport in Deutschland irgendwie den Bach runtergeht, bekommen wir nicht weg. Es fehlen die Ergebnisse und Erfolgserlebnisse. Gerade erst sind die deutschen Fussball-Frauen bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland sang- und klanglos ausgeschieden und haben es den Männern (WM in 2022 in Katar) leider nachgemacht. An den Schulen - so hört man - sollen Bundesjugendspiele in der jetzigen Form abgeschafft werden. Gibt es da einen größeren Zusammenhang? Das haben wir Ingo Froböse, Professor und Sportmediziner an der Sporthochschule Köln - exemplarisch gefragt.

Ingo Froböse, Professor und Sportmediziner an der Sporthochschule Köln© Sebastian Bahr
Ingo Froböse, Professor und Sportmediziner an der Sporthochschule Köln
© Sebastian Bahr

Ingo Froböse kritisiert die deutsche Nachwuchsförderung

Im Breitensport beobachtet Froböse, dass in "vielen Bereichen bei heranwachsenden Menschen die Leistung herausgenommen wird, um sie zu einem lebenslangen Sporttreiben zu 'verführen'." Dadurch würden "die Starken" nicht mehr gefördert. Froböse erklärt, dass Deutschland kaum noch Talente hervorbringe, um im Ländervergleich mithalten zu können. Die Entwicklung der vergangenen Jahre im Bereich der Nachwuchsförderung sieht der Sportwissenschaftler äußerst kritisch. Das Fundament sei in seinen Augen viel kleiner geworden - oder noch dramatischer ausgerückt: gar nicht mehr vorhanden: "Es braucht neue Strukturen. Durch die Zentralisierung, damit meine ich beispielsweise Landesstützpunkte, wurde den Vereinen viel genommen. Das halte ich für völlig falsch. Denn in Vereinen vor Ort weiß man, wie ein Athlet lebt und gefördert werden muss." Neben fehlender Talentsichtung würden auch geschlossene Schwimmbäder oder Hallen dazu führen, dass in bestimmten Sportarten kaum Nachwuchs vorhanden sei.

Forderung nach Sportministerium

Sportexperte Froböse sieht noch einen weiteren möglichen Grund für den Rückgang der sportlichen Erfolge: Sport bekomme generell nicht mehr ausreichend Platz in der Öffentlichkeit und in der Politik. Sport müsse wieder eine zentrale gesellschaftliche Rolle spielen, wünscht sich der Professor an der Sporthochschule Köln: "Wir haben keine Vorbilder mehr, wir haben keine Testimonials mehr. Wir haben in der Politik niemanden, der für das Thema Sport steht. Deswegen wünsche ich mir ein Sportministerium beispielsweise, damit die Bedeutung des Sports klar und deutlich in der Gesellschaft verankert wird." Weil der Sport gesellschaftlich also nur eine Nebenrolle spiele, gebe es aktuell kein Konzept dafür, wo die Interessen bei jungen Menschen liegen und welche Sportart gefördert werden sollte, kritisiert Froböse.

Gesellschaft habe Leistungsgedanke verloren

Jens Kleinert, Professor für Sport- und Gesundheitspsychologie am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln© Deutsche Sporthochschule Köln
Jens Kleinert, Professor für Sport- und Gesundheitspsychologie am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln
© Deutsche Sporthochschule Köln

Grundlegende Probleme sieht auch Jens Kleinert, Professor für Sport- und Gesundheitspsychologie an der Deutschen Sporthochschule Köln. Kinder und Jugendliche würden nicht wirklich motiviert werden, Leistung zu erbringen. "Leistung wird von einigen Menschen ein bisschen negativ behaftet. Im Sinne von Druck machen und jemanden zwingen etwas zu tun", kritisiert Kleinert. Wichtig sei zwar, dass junge Menschen die sportlichen Ziele auch selbst erreichen wollen, Motivation von Eltern, Trainern und Trainerinnen könne aber helfen. Dabei sollte man aber vermeiden, die Kinder miteinander zu vergleichen, sagt der Psychologe: "Da brauchen Trainer und Trainerinnen vielleicht noch eine bessere Ausbildung, um eine Betreuung zu entwickeln, die ein bisschen mehr am Einzelnen orientiert ist und die Einzelentwicklung im Vordergrund sieht." Ideal seien auch sportliche Vorbilder, um den Leistungsgedanken zu stärken und Orientierung zu schaffen, so der Experte von der Sporthochschule Köln.

Es fehlt an Geld

Michael Scharf, Direktor für Leistungssport beim Landessportbund NRW© Landessportbund NRW
Michael Scharf, Direktor für Leistungssport beim Landessportbund NRW
© Landessportbund NRW

Und wie immer spielt auch die Finanzierung eine ausschlaggebende Rolle, sagt Michael Scharf. Er ist Direktor für Leistungssport beim Landessportbund NRW. "Andere Nationen haben in den letzten 20 Jahren erheblich aufgerüstet im Leistungssport. Sowohl was die Finanzen angeht, als auch was über die Finanzen hinausgeht - zum Beispiel der Einkauf von kompetenten Trainern und auch das Erschaffen von Strukturen", so der Experte. Deshalb könnten auch kleine Nationen Erfolge im Leistungssport verzeichnen. Scharf kritisiert er auch das Gehalt für Trainer und Trainerinnen in Deutschland: "Sie steigen vielleicht noch mit einem Einstiegsgehalt ein, was in Relation steht, aber ein paar Jahre später stehen die schon weit hinter Vergleichsgruppen wie Lehrerinnen und Lehrer. Wir haben etliche Trainer in den letzten Jahren verloren, die in den Lehrberuf eingestiegen sind." Der Landessportbund NRW konnte vor kurzem eine Gegenmaßnahme erzielen und mit der Landesregierung eine Zielvereinbarung schließen, wodurch Trainerinnen und Trainer nun auch einen Tarifvertrag erhalten.

Autoren: Catharina Velten & Werner Baumann