Israel greift Syriens militärische Führung in Damaskus an
Veröffentlicht: Mittwoch, 16.07.2025 17:24

Nahost
Damaskus/Tel Aviv (dpa) - Inmitten der sich verschärfenden Gewalt in Syrien hat das Nachbarland Israel das Zentrum von Damaskus bombardiert. Die israelische Armee griff dort nach eigenen Angaben das militärische Hauptquartier an. Sie stellte das in Zusammenhang mit dem Gewaltausbruch im Süden des Landes: Man beobachte das Vorgehen der syrischen Regierung gegen die Drusen dort genau. Kurz nach dem Angriff auf das Hauptquartier kam es laut Augenzeugen zu weiteren schweren Explosionen auf dem Gelände, auf dem auch das Verteidigungsministerium liegt.
Fast zeitgleich griff Israels Armee nach eigener Darstellung in der Nähe des Präsidentenpalastes in Damaskus an und erklärte, dort habe es ein «militärisches Ziel» gegeben. Der Palast ist der Amtssitz von Präsident Ahmed al-Scharaa. Wo al-Scharaa, die syrischen Minister und weitere ranghohe Regierungsmitglieder sich zum Zeitpunkt der Angriffe aufhielten, war unklar. Nach offiziellen syrischen Angaben wurden in Damaskus 13 Menschen verletzt.
Mit den Luftangriffen griff Israels Militär noch deutlich stärker als bisher in die seit Tagen anhaltende Gewalt im Nachbarland ein. Israelischen Medien zufolge bereitet sich das Militär auf mehrtägige Einsätze in Syrien vor. Im Süden Syriens waren Kämpfe zwischen drusischen Milizen und sunnitischen Beduinen ausgebrochen, woraufhin die syrische Regierung Truppen und andere Sicherheitskräfte schickte.
Seit Sonntag wurden laut Menschenrechtsaktivisten mehr als 300 Menschen getötet, darunter mehr als 20, die «hingerichtet» worden seien. Darunter seien etwa 180 Truppen und Sicherheitskräfte der Regierung, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Armeekreise bestätigten Todeszahlen in ihren Reihen in ähnlicher Höhe. Drusische Quellen bestätigten, dass mehr als 250 Menschen in Suwaida getötet worden seien.
Warum greift Israel in Syrien ein?
Nach eigenen Angaben will Israel mit den Angriffen auf Truppen der syrischen Regierung die Drusen schützen. Israel fühlt sich ihrem Schutz verpflichtet, auch weil viele Drusen im israelischen Militär dienen. Sie sind eine religiöse Minderheit, die aus dem schiitischen Islam hervorging. Sie leben mehrheitlich in Syrien, aber auch in Israel, dem Libanon und Jordanien. Die syrische Provinz Suwaida im Süden ist ihre Hochburg.
Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz teilte mit: «Das syrische Regime muss die Drusen in Suwaida in Ruhe lassen und seine Truppen abziehen.» Das Militär werde seine Angriffe auf die syrischen Truppen noch verstärken, «wenn die Botschaft nicht ankommt». Israel möchte die Drusen laut Beobachtern auch stärken, um zu verhindern, dass sich in Gebieten nahe der eigenen Grenze vom Iran unterstützte oder islamistische Gruppen ansiedeln.
Viele syrische Drusen lehnen ein Eingreifen Israels ab und befürchten die Einmischung von außen in syrische Angelegenheiten. In Suwaida verteidigen drusische Milizen die örtliche Gemeinde. Diese wehrt sich gegen den staatlichen Einfluss aus Damaskus und auch gegen Versuche der Regierung, drusische Milizen aufzulösen.
Wie stehen Israel und Syrien zueinander?
Eigentlich befinden sich beide Länder seit Gründung Israels im Jahr 1948 offiziell im Krieg. Durch den Sturz von Syriens Machthaber Baschar al-Assad im Dezember, der mit Israels Erzfeind Iran verbündet war, schienen solche Schritte zumindest möglich. Auch die USA sehen Syrien als wichtiges Land im Versuch, Israel in der Nahost-Region mehr zu integrieren und den Druck auf den Iran zu erhöhen.
Die konfessionellen Spannungen zeigen zugleich, dass ein von den USA erhoffter Deal über eine mögliche Annäherung der beiden Länder nicht schnell zu erreichen ist.
Wie am Dienstag versuchten auch am Mittwoch einige Drusen aus Israel, die Grenze zu Syrien zu überqueren, um andere Drusen dort zu unterstützen. Anführer der Drusen in Israel machen zugleich Druck auf die israelische Führung, in den Konflikt im Nachbarland einzugreifen.
Laut Israels Armee versuchten zugleich «Dutzende Verdächtige» von Syrien aus auf israelisch kontrolliertes Gebiet zu gelangen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärte der Deutschen Presse-Agentur, dass es sich um syrische Drusen handle, die in Israel Schutz suchten.
Wie steht die syrische Regierung zu der drusischen Minderheit?
Die Regierung hat erklärt, im Süden für Stabilität sorgen und Zivilisten schützen zu wollen. Nach Erkenntnissen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kämpfen die Truppen und Sicherheitskräfte der Regierung aber an der Seite sunnitischer Beduinen und gegen drusische Milizen kämpfen.
Im Internet kursierten zudem Fotos und Videos von Gewalt und Demütigungen gegenüber der Drusen, denen demnach Schnurrbärte abrasiert wurden. Diese sind für viele Symbol von Würde und Ausdruck ihrer religiösen Identität. Die geistlichen Anführer der Drusen waren uneins darüber, ob die drusischen Milizen mit den Regierungstruppen kooperieren oder sie bekämpfen sollten. Das Misstrauen gegenüber den neuen Machthabern in Damaskus ist weiterhin groß.
Die Regierung in Damaskus rief die Sicherheitskräfte zur Disziplin auf. Die Beobachtungsstelle berichtete von Plünderungen und Vandalismus, teils hätten Regierungstruppen und deren Verbündete auch Feuer gelegt.
Was sagen die Kämpfe aus über die Lage in Syrien?
Die neue Gewalt rückt die konfessionellen Spannungen in Syrien wieder in den Fokus. Im Land tobte ab 2011 ein blutiger Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten und Millionen Vertriebenen. Als Assad im Dezember gestürzt wurde, gab es Hoffnung, dass die neue Regierung al-Scharaas für neue Stabilität sorgen würde. Seitdem kam es aber wiederholt zu Gewalt mit teils Hunderten Toten.
Die Leidtragenden der Kämpfe sind erneut vor allem Zivilisten, die in Syrien immer wieder Gewalt und Vertreibung erleben mussten. Viele Menschen flüchteten aus der Gegend, um sich in Sicherheit zu bringen. Fotos und Videos zeigten Familien, die Suwaida in Richtung benachbarter Dörfer verließen. Weil Suwaida vor allem von Damaskus aus mit Waren beliefert wird, wächst die Sorge vor einer Knappheit an Lebens- und Arzneimitteln. Die Lage im örtlichen Krankenhaus soll katastrophal sein.